HIGHLIGHT • Killeralgen / Seite 2 von 6
 
Als JoAnn Burkholder die Wasserproben unter dem Mikroskop betrachtete, wurde offensichtlich: Der „braune Nebel“ bestand aus Millionen Exemplaren eines einzelligen Organismus, bewehrt mit zwei peitschenförmigen Geißeln, mit denen er sich durchs Wasser trieb. Nur binnen ein bis zwei Stunden, nachdem der letzte Fisch gestorben war, waren die Zellen verschwunden. Im Sediment eines der Fischtanks entdeckte JoAnn einige harmlos aussehende, stachelige Zysten - Ruhestadien irgendeiner Algenart, dachte sie. 

Nach Monaten über dem Mikroskop wurde klar, daß die Anwesenheit lebender Fische die Transfor-
mation der Zysten in kleine begeißelte Mörderzellen katalysiert, die ein aggressives Gift freisetzen und durch einen trompetenähnlichen Fortsatz, den Peduncle, Stücke abgefallenen Fischfleisches aufnehmen. Nachdem ihr schier endloser Appetit gestillt ist, verändern sie ihre Gestalt erneut, teilweise in Amöben, teilweise in Schwärmer, und letztlich in die mit stacheligem Panzer versehenen Zysten, die so robust sind, daß sie selbst ein Bad in konzentrierter Schwefelsäure unbeschadet überstehen. 

Insgesamt sind heute 24 verschiedene Lebensstadien dieses Organismus bekannt, der von den Forschern Pfiesteria piscida getauft wurde - die „Fischfressende“. Einige sind giftig, andere nicht. Dieser zur Gruppe der Dinoflagellaten gehörige tierische Organismus vermag in einigen Lebensstadien sogar Algen nachzu-
ahmen. Dann frißt Pfiesteria andere planktische Algen. Aber anstatt sie zu verdauen, behält sie deren Chloroplasten, diejenigen Zellbausteine, mit denen die Pflanzen ihre Photosynthese betreiben, zurück.
Wie eine echte Alge kann Pfiesteria dann von Licht und Kohlendioxid leben. 

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Vierundzwanzig verschiedene Lebensstadien durchläuft Pfiesteria. Am giftigsten sind die begeißelten Zoosporen (links und rechts). Nachdem sie sich an Fischgewebe sattgefressen haben, verwandeln sie sich in Amöben der mehrfachen Größe (Mitte)

JoAnn Burkholder und ihre Kollegen fanden Pfiesterias Ursprung im Albermale-Pamlico Sound an der Küste North Carolinas, von wo Doktor Noga sein Wasser für die Fischtanks bezog. Schließlich konnten sie am 23. Mai 1991 den Organismus auf frischer Tat ertappen: Kevin Miller, Wasserchemiker der staatlichen Umweltbehörde, traf während seiner Routineüberwachungen der Küstengewässer auf einen kaffeebraunen Schleim, der das Wasser überzog; darin unzählige tote und sterbende Fische. An den nächsten zwei Tagen sammelte Miller Wasserproben und sandte sie an JoAnn Burkholder. Ohne Zweifel waren diese voll von dem Organismus, den sie zuvor in Nogas Fischtanks gesehen hatte. 

Inzwischen sind mehr als zweihundert große Fischsterben in den Küstengewässern North Carolinas während der letzten fünf Jahre auf Pfiesteria zurückzuführen. Der Verlust an Fischen und Muscheln wird auf eine Milliarde Tiere geschätzt. Allein während eines großen Fischsterbens im Sommer 1995 im Neuse River, der in den Pamlico Sound mündet, starben 14 Millionen Tiere mit den gleichen offenen Wunden, die Howard Glasgow erlitt. Die Strände waren übersät mit toten Fischen, die von Bulldozern beiseite geräumt wurden. Und ähnliche Szenarios wiederholten sich seit 1989 alljährlich mehrfach im Sommer und Herbst in den Flußmündungen und Küstengewässern North Carolinas. 

Howard Glasgows Zustand erreichte seinen Tiefpunkt im Dezember 1993. Beim Öffnen eines der mit Pfiesteria gesättigten Aquarien spritzte Wasser auf seine Unterarme. „Die benetzte Haut wurde sofort rot und begann zu brennen, und nach kurzer Zeit entwickelte sich ein heftiger Ausschlag“, das ist alles, woran er sich erinnern kann. Mit letzter Kraft und im „geistigen Nebel“, wie Howard es nennt, gelangte er nach Hause. Am nächsten Morgen erschien ihm die Morgenzeitung wie Hieroglyphen. Einfache Rechenaufgaben waren unmöglich für ihn zu lösen. Zwei Tage später vermochte er nicht mehr, seinen Weg von der Arbeit nach Hause zu finden, und irrte stundenlang in der Stadt herum, obgleich er schon sieben Jahre in seinem Haus wohnte. Klinische Tests ergaben, daß sein Nervensystem über Monate einem chemischen Angriff ausgesetzt war, Herzschlag und Blutdruck waren anormal, Leberenzyme besorgniserregend hoch, und seine Nieren schieden erhöhte Phosphatmengen aus. 

 
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